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„Wenn man in Radlerhosen voreinander steht, sinkt die Hemmschwelle automatisch“
Was beschäftigt einen Landrat? Was muss er drauf haben? Und was macht der Beruf mit der Person – auch nach dem Ende der Amtszeit? Landrat a. D. Thomas Schiebel gewährt im Interview persönliche Einblicke und erklärt, was er am Amt besonders schätzte und was nicht.
„Es war eine schöne Zeit“: Landrat a. D. Thomas Schiebel im Treppenhaus des Landratsamts, wo er zwölf Jahre lang als oberster Kommunalbeamter wirkte.
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„Wenn man in Radlerhosen voreinander steht, sinkt die Hemmschwelle automatisch“
Was beschäftigt einen Landrat? Was muss er drauf haben? Und was macht der Beruf mit der Person – auch nach dem Ende der Amtszeit? Landrat a. D. Thomas Schiebel gewährt im Interview persönliche Einblicke und erklärt, was er am Amt besonders schätzte und was nicht.
Herr Schiebel, erinnern Sie noch an Ihren ersten Tag im Amt? Thomas Schiebel: Ja, tatsächlich. Ich war aufgeregt. Das Landratsamt als Gebäude und Institution war mir ja schon vorher bekannt. Aber es ist schon etwas anderes, wenn man zum ersten Mal als Landrat das Gebäude betritt. Respekt, Demut, Ehrfurcht – welche Gefühle haben Sie an diesem Tag begleitet? Das sind alles hochtrabende Begriffe. Es war eher ein Gefühl der Vorfreude, das mich begleitet hat. Und mir war durchaus bewusst, dass eine große Aufgabe auf mich wartet. Kamen Sie mir hochgekrempelten Ärmeln? Man möchte ja etwas bewegen als Landrat. Ja, man möchte aktiv sein, man möchte etwas bewegen. Gleichwohl: Ein Landrat hat zwar eine starke Position, aber auch Grenzen in seiner Gestaltungsfreiheit. Das war mir klar. Zudem hatte ich auch nie ein missionarisches Sendungsbewusstsein. Ich komme aus der Verwaltung und war zudem sieben Jahre lang Bürgermeister. Da entwickelte ich früh einen realistischen Blick auf die Dinge. Vor 50 Jahren wurden die Landkreise in Bayern neu gegliedert. Haben Sie noch Erinnerungen an diese Zeit? 1972 war ich 14 Jahre alt, da hatte ich andere Interessen als die Gebietsreform und kommunalpolitische Themen. Das habe ich bewusst nicht mitbekommen. Die Gemeindegebietsreform von 1978 hingegen schon, aber auch nur, weil meine Eltern darüber sprachen. Mir war wichtig, dass der Sportverein Langenprozelten selbständig bleibt, der Rest war mir egal. Was hat die Menschen damals bewegt, was bewegt sie heute? Die Sorgen und Nöte der Menschen sind ähnlich geblieben. Es gab und gibt Herausforderungen im kommunalen Bereich, damals genauso wie heute. Sicherlich sind heute Dinge komplexer und die Mentalität hat sich gewandelt, aber vom Grundsatz her hat sich wenig verändert. Vor 50 Jahren wollten die Menschen in Ruhe und Frieden leben und das wollen sie heute auch.
Leidenschaften zu entwickeln, war mir vom Wesen her immer fremd.
Was waren die drei größten Herausforderungen während Ihrer Amtszeit? Das kann ich nicht sagen, weil das eine Sache der objektiven Bewertung ist. Diese Einschätzung muss man der Nachwelt überlassen. Was mir aber im Gedächtnis haften geblieben ist, sind die die Diskussionen um den neuen Krankenhausstandort und um die B 26n. Diese Themen haben den Landkreis flächendeckend beschäftigt – und das ist auch noch nicht ausgestanden. Auch an die Flüchtlingskrise 2015/16 habe ich noch lebhafte Erinnerungen. Gewichten Sie Probleme heute anders als früher? Nein, das habe ich noch nie gemacht. Es ist müßig, zu sagen, man hätte es besser machen können oder so schlimm war das gar nicht. Man lebt im Moment und muss momentan eine Entscheidung treffen. Ob sie richtig oder falsch war, muss die Zukunft beurteilen. Woher stammt Ihr Selbstvertrauen? Aus dem Elternhaus? Vermutlich, ich weiß es nicht. Wir waren zu Hause drei Buben, ich war der mittlere, alle ein Jahr auseinander. Ich musste mich gegen einen älteren und einen jüngeren Bruder durchsetzen. Das habe ich auch gemacht. Aber ob das dort verortet werden kann, vermag ich nicht zu sagen. Vielleicht habe ich dieses Selbstvertrauen auch über den Sport erarbeitet. Bis heute bin ich sportlich aktiv im Fußball und Basketball. Ihr Ansatz, Dinge praktisch anzugehen: Ist das auch eine Eigenart, die die Main-Spessarter auszeichnet? Generell würde ich sagen, dass der ländlich geprägte Main-Spessarter ein Typ Mensch ist, den es auch andernorts gibt. Ihn zeichnet aus, dass er Probleme selbst zu lösen versucht, ehe er nach Hilfe ruft. Das ist ein Signum der Ländlichkeit, dass man Dinge eigenverantwortlich angeht und sich erstmal gegenseitig hilft. Ist dieser Drang zur Eigenverantwortlichkeit auch historisch bedingt? Das hätte ich vielleicht vor 50 Jahren behauptet, aber aus heutiger Sicht ist das kaum noch haltbar. Der typische Main-Spessarter, wer soll das sein? Ist das jemand, der einen Stammbaum bis ins 18. Jahrhundert vorweisen kann? Ist das jemand, der seit 40 Jahren hier lebt? Woran macht man das fest? Sowieso: Das, was den Spessart früher einmal ausgemacht hat – die karge Landschaft, die ärmliche Bevölkerung, der dunkle Wald, die idyllische Abgeschiedenheit – ist heutzutage alles nicht mehr vorhanden. Main-Spessart ist mehr als Wald, Wein und Wasser. Was hat das Amt mit Ihnen gemacht? Ich hoffe, nichts. Ich fühle nicht, dass ich durch das Amt ein anderer Mensch geworden bin. Das wird mir auch von meinen Freunden bestätigt. Es war eine schöne Zeit, aber ich habe mich nicht grundsätzlich verändert. Das passt zur Ihrer Person, sie gelten als besonnen und ruhig. Dafür kann ich nichts, ich bin von Haus aus ausgeglichen. Ich müsste mich anstrengen, um mich aufzuregen. Das schaffe ich so gut wie nie.
Im politischen Diskurs ist Ausgeglichenheit und Ruhe ein Vorteil. Ja, in jedem Fall. Ich habe nie Probleme damit gehabt, ruhig zu bleiben. Wenn ich ein Thema habe, versuche ich es zu lösen, pragmatisch und lösungsorientiert. Leidenschaften zu entwickeln, war mir vom Wesen her immer fremd. Aber klar: Wenn ich der Überzeugung war, etwas muss sein, konnte ich auch sehr hartnäckig sein, bis hin zur Sturheit. Gab es Dinge, die Sie als Landrat gerne gemacht haben? Vermeintliche Lieblingsbeschäftigungen, etwa den Landratsschoppen auszuwählen oder die Landrats-Radtour auszurichten, hatte ich nie. Das habe ich von meinem Vorgänger übernommen. Klar habe ich das alles gerne gemacht, auch Ehrungen oder Einweihungen, Kreistagssitzungen oder öffentliche Termine. Was ist das Beste, was ein Landrat im Umgang mit seinen Bürgern machen kann? Das muss jeder selbst für sich herausfinden, das hängt immer auch von der Person ab. Für mich war immer ein Maßstab, dass ich mich nicht verbiegen lassen wollte. Ich wollte immer Thomas Schiebel bleiben. Ich habe mich gegenüber Bürgern immer so präsentiert, wie ich bin. Um die Hemmschwelle für den Bürger zu senken? Nein, weil ich so bin. Entweder es funktioniert oder es funktioniert nicht. Was sind die schönsten Momente, die man als Landrat mit den Bürgern erleben darf? Die unkomplizierten Begegnungen, egal ob das auf Festen oder auf der Straße ist. Oder auf der Rad-Tour. Wenn man in Radlerhosen voreinander steht, sinkt die Hemmschwelle automatisch. Da kann man besser miteinander reden, das war stets für beide Seiten gut. Haben Sie viele Akten gewälzt, um gut vorbereitet zu sein? Mir wurde öfters gesagt, dass ich ein guter Redner sei. Ich war immer gut vorbereitet, auch wenn es manchmal so gewirkt hat, als wäre mir das alles gerade erst eingefallen. Schon als Schüler war ich gründlich. Vielleicht war ich nie der Intelligenteste, aber fleißig war ich immer. Waren Sie immer pünktlich? Mir war wichtig, immer pünktlich zu sein. Ich war aber auch immer einer der ersten, die gegangen sind. Braucht man als Landrat gute Ohren? Ja, vor allem dahingehend, Dinge zu überhören. Zudem hört man mehr, als man sagen darf. Wie wichtig ist Familie für Sie? Ich habe jetzt meinen ersten Enkel, er ist ein halbes Jahr alt, und ich bin froh, dass ich meine Kinder habe. Das ist mir sehr wichtig. Ab und zu passe ich auf den Kleinen auf und fahre ihn im Kinderwagen spazieren. Das ist wunderbar. Gab es Momente, in denen Sie hinschmeißen wollten? Nein, nie. Was ist die vornehmste Aufgabe eines Landrats? Ein Landrat ist nicht nur ein Behördenleiter, er repräsentiert auch einen Landkreis, eine Bevölkerung, eine Mentalität. Also das, was den Landkreis Main-Spessart ausmacht. Es ist die vornehmste Aufgabe, sich damit zu identifizieren, sich bewusst zu machen, Du bist der Chef dieses vielfältigen Landkreises, all dieser heterogenen Gemeinden, denen Du gerecht werden musst. Wir haben 40 Gemeinden, da ist es eine Aufgabe, überall gleichmäßig präsent zu sein: von Aura im Sinngrund bis nach Kreuzwertheim, von Arnstein bis Frammersbach. Sie alle machen den Landkreis Main-Spessart in all seinen Facetten aus.
Fotos: Christoph Weiß
Thomas Schiebel Der 1958 geborene Gemündener war vor seinem Amtsantritt als Landrat im Jahr 2008 Bürgermeister von Gemünden am Main. Zwölf Jahre lang stand der Verwaltungsbeamte dem Landkreis vor, ehe er sein Amt 2020 an die neue Landrätin Sabine Sitter übergab.