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„ Aller Anfang ist schwer“ oder „Ende gut - alles gut“?

Die Entstehung des heutigen Landkreises Main-Spessart verlief nicht ohne Widerstand. Aus dem einstigen Politikum ist längst eine Erfolgsgeschichte geworden, die Synergien schafft. Und das kommt allen Landkreisbewohnern zugute.

Erwin Ammann, erster Landrat des Landkreises Main-Spessart.

Erwin Ammann, erster Landrat des Landkreises Main-Spessart.

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„ Aller Anfang ist schwer“ oder „Ende gut - alles gut“?

Die Entstehung des heutigen Landkreises Main-Spessart verlief nicht ohne Widerstand. Aus dem einstigen Politikum ist längst eine Erfolgsgeschichte geworden, die Synergien schafft. Und das kommt allen Landkreisbewohnern zugute.

In der Wirtschaft sind Fusionen an der Tagesordnung. Zusammenschlüsse und Übernahmen sollen die Unternehmen stärker und effizienter machen. Ähnliche Ziele verfolgte die Gebietsreform, die von 1971 bis 1978 die Verwaltungsstruktur im Freistaat komplett umgestaltete. In einer regelrechten „Fusionswelle“ wurde die Zahl der Gemeinden von 7004 auf 2050 reduziert und aus 143 Landkreisen wurden 71 neue Landkreise geschaffen. Mindestens 80.000 Einwohner sollten diese neuen Landkreise haben. Sie sollten dadurch leistungsfähiger werden – und mit ihnen die Einrichtungen zur Grundversorgung, ob nun Krankenhäuser, Schulen oder die Müllabfuhr. Die bayerischen Planer verstanden ihre Gebietsreform in den 1970er Jahren vor allem als Motor der Modernisierung für den ländlichen Raum und seine Gemeinden. Ziel war es, die Lebensverhältnisse in Stadt und Land anzugleichen und die Verwaltung der Gemeinden, und somit insgesamt die kommunale Selbstverwaltung, zu stärken.

Karte des Landkreises Mittelmain, der 1973 zum Landkreis Main-Spessart umbenannt wurde.

Der Landkreis Main-Spessart entsteht Am 1. Juli 1972 war die Geburtsstunde des heutigen Landkreises Main-Spessart. Im Rahmen der Gebietsreform des Freistaates Bayern wurden die größten Teile der ehemaligen Landkreise Gemünden, Karlstadt, Lohr und Marktheidenfeld zum Landkreis „Mittelmain“, erst im April 1973 wurde der heutige Name „Main-Spessart“ festgelegt und Karlstadt als Amtssitz bestimmt. Diese Zwangsehe blieb nicht ohne Proteste. Beharrten die Altlandkreise anfangs auf ihre Eigenständigkeit, stand am Ende des Verfahrens die Entscheidung um den Kreissitz im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen. Ausschlaggebend für den Kreissitz war der bisherige Landrat des Kreises Karlstadt, Erwin Ammann. Er hatte sich CSU-­intern als künftiger Landrat von Main-Spessart durchgesetzt. Jetzt wollte er auch den Kreissitz nach Karlstadt holen. Und mit diesem Vorhaben war er in München erfolgreich. Lohr, die damals größte Stadt, die viele schon als Kreissitz gesehen hatten, ging leer aus. Entsprechend groß war hier die Enttäuschung. Mehrere Tausend Lohrer fuhren mit einem Sonderzug nach München, um vor der Staatskanzlei zu protestieren. Doch es war zu spät, die Würfel waren bereits gefallen.

Der erste Kreistag konstituiert sich Im Kreistag sahen sich die Mitglieder anfangs in erster Linie als Interessenvertreter für ihren Altlandkreis, erinnert sich Roland Metz, ehemaliger Bürgermeister von Arnstein, der bereits dem ersten Kreistag von Main-Spessart angehörte. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg hin zu einem guten und fairen Miteinander war die Umbenennung des neu geschaffenen Landkreises von „Landkreis Mittelmain“ in „Landkreis Main-Spessart“. „Landschaftsbezogene Namen für einen Landkreis waren damals eher ungewöhnlich“, erläutert Metz.

Roland Metz

Der ehemalige Bürger­meister von Arnstein und langjährige stell­vertretende Land­rat erinnert sich an den Beginn der Gebietsreform

Land­schafts­­be­zogene Namen für einen Land­kreis waren damals eher unge­wöhnlich.

Nicht umsonst wurden die Nachbarlandkreise schlicht nach der Kreisstadt benannt. Doch „Landkreis Karlstadt“, das wollte man der uneinigen Landkreisbevölkerung nicht zumuten. Beim Namen „Mittelmain“ fühlten sich wiederum die Menschen aus dem Spessart, der ja einen nicht unerheblichen Teil des Landkreises einnimmt, schlicht vergessen. So wurde der neue Landkreis schließlich 1973 auf den Namen „Main-Spessart“ getauft und Eichenblatt und Weinrebe zieren nun gleichberechtigt das offizielle Wappen. „Auch wenn der erste Landrat, Erwin Ammann, zuvor Landrat des Altlandkreises Karlstadt war, so hatte er in seiner Amtsführung immer den ganzen Landkreis im Blick“, betont Metz. Es war ihm ein wichtiges Anliegen bei der Verteilung der Ämter alle Altlandkreise zu bedenken. So wurde Gemünden Sitz des Amtsgerichts, Lohr bekam das Finanzamt mit Außenstellen in Marktheidenfeld und Karlstadt. Die Krankenhäuser in Lohr, Marktheidenfeld und Karlstadt wurden erhalten. Die Berufsschule hatte Klassen in Karlstadt, Lohr und Marktheidenfeld.

„Aus heutiger Sicht wäre es sicher besser und effektiver gewesen, von Beginn an auf zentrale Strukturen zu setzen“, resümiert der Kreisrat der ersten Stunde, „aber das war damals nicht zu vermitteln“. Die große Fläche des Landkreises sieht er durchaus als eine Herausforderung. Was ist sein Wunsch für den heutigen Kreistag? „Immer aufeinander zugehen, Rücksicht nehmen und für Ausgewogenheit sorgen, damit sich jeder gut bedient fühlt“, so sein Rezept für die Arbeit im Kreisgremium.

Heike Wenisch

Die gebürtige Karlstädterin ist seit 2020 Kreis­rätin des Land­kreises Main-Spessart

Die alten Grenzen spielen für uns und unsere Kinder keine Rolle mehr.

Wandel in der Gesellschaft Eine einzige Frau gehörte dem ersten Kreistag an. Magdalena Amend, Inhaberin eines Schreibwarenladens in Lohr, zog am 1. Januar 1977 als Nachrückerin in das Gremium für die CSU ein und blieb bis 1984 (ab 1978 als Vertreterin für die Main Spessart-Union). Im jetzigen Kreistag sind 14 Frauen vertreten und erstmals steht eine Landrätin an der Spitze. Der Wandel in der Gesellschaft macht sich auch in der Politik bemerkbar. Die 37-jährige Heike Wenisch gehört seit 2020 für die CSU dem Kreistag an. Die Auseinandersetzungen vor 50 Jahren sind für sie Vergangenheit und haben für ihre Arbeit als Kreisrätin keine Bedeutung. „Ich bin im Landkreis Main-Spessart geboren und hier aufgewachsen. Ich selbst stamme aus Stadelhofen/Karlstadt, mein Mann aus Partenstein. Die alten Grenzen spielen für uns und unsere Kinder keine Rolle mehr. Daher habe ich auch jetzt bei Entscheidungen im Kreistag immer ganz selbstverständlich den gesamten Landkreis im Blick“, so Wenisch.

Der Kreistag ist in den letzten fünfzig Jahren weiblicher geworden, aber immer noch deutlich männlich dominiert. Wie wichtig empfindet die junge Kommunalpolitikerin, dass Frauen verstärkt auch im Kreistag vertreten sind? Macht das Geschlecht in der Politik einen Unterschied? „Gemischte Teams sind in allen Lebensbereichen ein Gewinn“, ist sich Wenisch sicher. „Frauen und Männer haben häufig unterschiedliche Blickwinkel – auch weil sich ihr Lebensalltag oft deutlich unterscheidet. Wenn sich beide Geschlechter einbringen, dann werden Entscheidungen besser von allen Seiten beleuchtet“, so die Beobachtung der Kreisrätin. Welches aktuelle Projekt des Landkreises liegt ihr selbst besonders am Herzen? „Ich bin beruflich im Gesundheitswesen tätig. Ich weiß daher, wie wichtig eine gute, wohnortnahe medizinische Versorgung ist. Daher hoffe ich, dass der Bau des neuen Zentralklinikums in Lohr zügig umgesetzt werden kann und wir damit eine neue Ära im Gesundheitswesen für Main-Spessart starten können. Mein großer Wunsch ist es, dass die Landkreisbewohner das neue Klinikum als ihr und unser Krankenhaus annehmen.“

Vorteile durch die Zusammenlegung „Aller Anfang ist schwer“, heißt es im Volksmund und das gilt auch für die ersten Jahre des neu gegründeten Landkreises Main-Spessart. Die Skepsis war zunächst groß. Lokalpolitikerinnen und Lokalpolitiker, wie auch große Teile der Bevölkerung, trauerten ihrem ursprünglichen Landkreis nach. Hinzu kam, dass auch viele Gemeinden ihre Eigenständigkeit und damit ihre Kommunalverwaltung vor Ort verloren hatten. Erst im Laufe der Jahre wurde man sich auch der Vorteile der Zusammenlegungen bewusst.

Die Kreisräte und eine Kreisrätin des zweiten ­Kreistags von 1978 bis 1984.

Vorstellung des Landrat­schoppens im Jahre 1984 (auf dem Bild links zu sehen Landrat a. D. Erwin Ammann, in der Mitte der damalige Landrat Armin Grein).

Zusammenarbeit als Chance Heute denkt man bei vielen Projekten schon über die Landkreisgrenzen hinaus. Die Zusammenarbeit mit anderen Gebietskörperschaften wird als Chance wahrgenommen. Im Bereich Tourismus denkt man schon lange in Regionen, denn das ist dem Urlauber wichtig. So wird die Maintalregion von Main-Spessart über das „Fränkische Weinland“ vermarktet, für das Urlaubs- und Ausflugsziel Spessart wird über den „Naturpark Spessart“ geworben und Wein- und Waldliebhaber finden über „Spessart-Mainland“ ihr Urlaubsziel. Seit 2013 ist der Landkreis Teil des Verkehrsverbundes Mainfranken und die Bewohnerinnen und Bewohner von Main-Spessart können mit nur einem Ticket von Marktheidenfeld bis Volkach fahren. Mit dem UNESCO Biosphärenreservat Spessart, das als Modellregion mit den Landkreisen Aschaffenburg und Miltenberg und der Stadt Aschaffenburg entwickelt werden soll, steht ein weiteres überregionales Projekt in den Startlöchern. Die Zusammenarbeit schafft Synergien, die allen Beteiligten zugutekommen. Trotz der anfänglichen Schwierigkeiten ist die Geschichte des Landkreises eine echte Erfolgsgeschichte. So ist er heute einer der wirtschaftsstärksten Landkreise in Unterfranken. 2011 wurde der Landkreis in einer Studie der Bertelsmann Stiftung Bildungssieger. Das Freizeitangebot ist dank vieler rühriger Vereine und einer vielfältigen Natur groß. Ein Landkreis, in dem es sich gut leben lässt. Also doch „Ende gut – alles gut“.

Herausforderungen der Zukunft gemeinsam gestalten „Der Landkreis ist inzwischen gut zusammengewachsen“, ist sich Landrätin Sabine Sitter sicher. „Das heißt jedoch nicht, dass die einzelnen Regionen ihre eigene Identität aufgegeben haben. Nein, gerade diese Vielfalt zeichnet Main-Spessart aus.“ Den Rückblick auf die letzten 50 Jahre findet die Landrätin durchaus wichtig, denn so Sitter: „Wir müssen die Vergangenheit verstehen, aber wir sollten sie nicht verklären. Die Herausforderungen der Zukunft können wir in Main-Spessart nur gemeinsam lösen. Stärke durch Gemeinschaft und Attraktivität durch Vielfalt, das ist das Erfolgsrezept.“ Da bleibt zum Schluss nur noch dem Kreis „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag“ zu wünschen und natürlich: „Auf die nächsten 50  Jahre!“

Fotos: Landratsamt Main-Spessart, Johannes Ungemach, Roland Metz, Susanne Keller