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„Der Mensch muss im Mittel­punkt stehen“

Seit zwei Jahren führt Sabine Sitter als Landrätin die Geschicke des ­Landkreises. Im Interview verrät sie, was ihre Behörde in dieser Zeit ­geleistet hat, wie die Zukunft des Spessarts aussieht und womit sie die Attraktivität des Landkreises erhöhen möchte.

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„Der Mensch muss im Mittel­punkt stehen“

Seit zwei Jahren führt Sabine Sitter als Landrätin die Geschicke des ­Landkreises. Im Interview verrät sie, was ihre Behörde in dieser Zeit ­geleistet hat, wie die Zukunft des Spessarts aussieht und womit sie die Attraktivität des Landkreises erhöhen möchte.

Frau Sitter, Ihre ersten zwei Amtsjahre waren vor allem von Krisen geprägt. Blieb da Zeit für das normale Tagesgeschäft? Das Tagesgeschäft muss laufen – trotz aller Krisen. Der Bürger stellt seine Anträge, die wir als Verwaltungsbehörde bearbeiten müssen: Führerscheine, Bauvorhaben, Einbürgerungen. Aber natürlich haben uns die Krisen bislang viel abverlangt. Nach der Corona-Pandemie ist es nun der Ukraine-Konflikt. Aktuell sind 40 Mitarbeitende des Landratsamtes mit der landkreisweiten Suche nach Wohnraum für rund 1200 Geflüchtete beschäftigt. Dennoch erfüllen wir alle Aufgaben, weil alle Beteiligten ein hohes Engagement an den Tag legen.

Wie reagieren sie persönlich auf die Krisenherde, die Sie unerwartet getroffen haben? „Unaufgeregt“ wurde schnell zu meinem Lieblingswort in der Krise. Da kommt mir meine berufliche Erfahrung zu Hilfe. Als Sozialarbeiterin trifft man auf viele Menschen mit krisengeschüttelten Lebensläufen. In der Corona-Pandemie wussten wir anfangs nicht viel über die künftige Entwicklung, wir mussten aber Entscheidungen treffen. Nicht zu handeln wäre schlimmer gewesen, als eine im Nachhinein vielleicht falsche Richtung eingeschlagen zu haben. Wir haben von Welle zu Welle hinzugelernt und können heute behaupten, dass wir mittlerweile eingespielt sind und viel mehr Erfahrung im Umgang mit Krisen haben als zuvor.

Auf welche Entwicklungen in den letzten zwei Jahren kann Ihre Behörde stolz sein? Als phänomenal erachte ich die Neustrukturierung der Gesundheitslandschaft im Landkreis. Hier haben alle an einem Strang gezogen: Behörde, Kliniken, ambulanter Bereich sowie Bürgerinnen und Bürger. Wir haben aus drei Standorten einen gemacht. Zusammen mit dem Baumhofquartier in Marktheidenfeld bildet das Klinikum Main-Spessart in Lohr nun das Zentrum der regionalen Gesundheitsversorgung. Daneben haben wir das Biosphärenreservat entschieden vorangebracht. Ebenfalls sehr positiv zu bewerten ist die Erarbeitung eines Leitbilds für unseren Landkreis. 50 Jahre nach der Gebietsreform ist das längst überfällig. Wir stellen dabei die Frage: Auf welche Probleme unserer Zeit müssen wir reagieren und wo wollen wir in 50 Jahren stehen? Darauf richten wir unsere Bestrebungen aus.

Auf welche Probleme müssen wir reagieren und wo wollen wir in 50 Jahren stehen?

Wie wichtig ist dabei eine funktionierende Verwaltung im Hintergrund? Ohne fachlich versierte und engagierte Mitarbeitende läuft nichts. Zudem braucht es den Mix aus jungen und erfahrenen Menschen. Das alles habe ich um mich herum. Weil es wichtig ist, dass Entscheidungen schnell und präzise umgesetzt werden, tausche ich mich viel aus und versuche, meine Entscheidungen transparent zu kommunizieren. Dafür erwarte ich aber auch Transparenz von den Beschäftigten, also dass sie mir Rückmeldung geben, wenn etwas nicht gut gelaufen ist. Nur so können wir uns alle zum Besseren hin entwickeln. Inwieweit hilft die Digitalisierung bei der Beschleunigung von Entscheidungen? Ungemein, und deswegen ist es wichtig, die Digitalisierung voranzutreiben. Unsere IT-­Abteilung arbeitet dabei eng mit unseren Verwaltungsexperten zusammen, um Lösungen zu entwickeln, die leicht anwendbar sind und Prozesse beschleunigen. Wir sind in vielen Feldern weit vorne mit dabei, zum Beispiel bei der Umsetzung der digitalen Bauakte. Innerhalb des Landratsamtes hat die Digitalisierung längst zu einer engeren Vernetzung zwischen den Abteilungen geführt, was am Ende dem Bürger zugutekommt. Daran arbeiten wir weiter.

Auch beim Thema Bildung ist der Landkreis top. Wie sorgen Sie dafür, dass es so bleibt? Glücklicherweise ist der Landkreis schulisch bestens aufgestellt. Wir haben eine Vielzahl an Schularten vorzuweisen, die einem jungen Menschen alle Wege eröffnen. Wichtig sind auch die vielen Unternehmen von Weltruf, die hier angesiedelt sind und exzellente Ausbildungsprogramme anbieten. Auch wir selbst bleiben innovativ, indem wir zum Beispiel das Starthouse in Lohr unterstützen, in dem Technologien von morgen entwickelt werden. Nicht zuletzt genießen auch die Berufsschulen einen hervorragenden Ruf im Landkreis.

„Ich mache klarere Ansagen als früher“: Sabine Sitter versucht, ihre ­Entscheidungen präzise und transparent zu kommunizieren. Transparenz und Offenheit erwartet sie deshalb auch von ihren Mitarbeitenden.

Trotzdem kehren viele junge Menschen dem Spessart den Rücken und ziehen in die Metro­polen. Was wollen Sie dagegen tun? Was oft vergessen wird: Der Spessart ist ein wunderschöner Landstrich und bietet eine enorme Lebensqualität. Seine Weitläufigkeit erfordert ein durchdachtes Mobilitätskonzept, daran arbeiten wir. Insgesamt muss es uns gelingen, die Strahlkraft unseres Landkreises weiter zu erhöhen, damit er zwischen den Metropolen, die uns umgeben, herausleuchtet. Dann wird auch das Identitätsgefühl der Spessarter mit ihrer Heimat wachsen. Was ich beobachte: Auch wenn manche junge Menschen fürs Studium oder für Karriereschritte abwandern, kehren viele von ihnen, sobald sie älter sind und eine Familie gründen, zu uns zurück. Offenbar schätzen viele Menschen hier die Vorzüge und Besonderheiten der Region.

Wie sehr hat Sie das Amt bislang persönlich verändert? Ich mache klarere Ansagen als früher.

Zu Hause bin ich nicht mehr Landrätin, sondern Mutter und Familienmensch.

Gilt das auch für Ihr Zuhause? Nein (lacht). Daheim bin ich Teil einer Familie, in der alle gleichberechtigt sind. Da entscheidet jeder mit. Zu Hause bin ich Mutter und Familien­mensch. Wo ist Ihr Lieblingsplatz im Spessart? Auf meiner neuen Terrasse! Ich habe sie zum Muttertag geschenkt bekommen. Dort genieße ich es, nach Feierabend mit meiner Familie Zeit zu verbringen.

Nach welchen ethischen Maßstäben treffen Sie Ihre Entscheidungen? Jeder und jede unserer Beschäftigten muss einen Eid auf die Bayerische Verfassung ablegen. Daher nehme ich sie regelmäßig zur Hand und orientiere mich an dem, was unsere Gründerväter nach dem Kriegsende nieder­geschrie­ben haben. Diese Menschen haben andere Krisen durchlebt als wir, und davon können wir nur lernen. Daran orientiere ich mein Handeln. Wobei ich am Ende immer wieder zu einem Schluss komme: Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen.

Fotos: Daniel Peter

Sabine Sitter Die 46-jährige Klinische Sozialarbeiterin ist Mitglied der CSU und seit 2020 Landrätin des Landkreises Main-Spessart. Geboren wurde sie in Karlstadt, aufgewachsen ist sie im Saaletal. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder.